Tour der (Un-)Wegbarkeiten

Dieses Jahr würde ich das fünfte Mal am Rückenwind-/Windwärts-Radtmarathon teilnehmen. Beim ersten Mal hatte ich vor der Länge richtigen Respekt. Auch im letzten Jahr war ich nicht ganz sicher, ob ich wegen des wenigen Trainings im Vorfeld, die Distanz würde durchhalten können. Da es im letzten Jahr geklappt hatte, würde es dieses Jahr - besser trainiert - schon kein Problem werden. Von Routine kann ich dennoch nicht sprechen. Zwei Wochen vor der Tour fing ich an, die Langfristwindprognose zu verfolgen. Die prognostizierte Windrichtung änderte sich nicht. Aus den anfänglich vorhergesagten 2-3 Bft wurden aber glücklicherweise mit der Zeit mehr. Auch sonst stieg nicht nur die Vorfreude, sondern auch die Aufregung. Wie würde das Wetter werden, wie viele würden wir sein, würden wir den Weg gut finden? Innerhalb des letzten Jahres - und nach der Pleite mit der nicht mehr mit meinem Garmin kompatiblen Openstreetmap-Karte - habe ich mich genauer mit der Tourplanung und der Navigation mittels eines Garmin Edge beschäftigt. Ich bin dazu übergegangen, Touren mittels gpsies oder des Bikeroutetoasters vorher akribisch auszuarbeiten. Leider habe ich noch nichts gefunden, wie man die Qualität und Rennradtauglichkeit eines Streckenabschnittes anhand der Karte beurteilen kann. Mit etwas Glück finden sich Kenner der Gegend, die einem Tipps zur Routenführung geben können.

Map data (c) OpenStreetMap contributors

An Berlin als diesjährigem Ziel, änderte sich in den Tagen vor der Tour nichts mehr. Ich schaute mir die Strecke an, die wir 2009 gefahren waren, konnte der Streckenführung der Tour "Von Tor zu Tor" habhaft werden und fragte Bernd, wie er fahren wolle. Die südliche Route, die wir 2009 fuhren, ist zwischen Genthin und Potsdam einfach nicht zu empfehlen. Dir nördliche Route (Tor zu Tor) ist mit Sicherheit sehr reizvoll, aber zu lang, um am gleichen Tag noch einen Zug nach Hause erreichen zu können.

Also sollte die Streckenführung - wie 2009 - Anfangs über Wolfsburg, Oebisfelde, Gardelegen gehen, später aber etwas nördlich über Tangermünde, Rathenow und Nauen.

Da würden etliche Kilometer an Bundesstraße zusammenkommen, wofür ich noch Alternativen suchte, aber keine fand. Eine auf gpsies als rennradtauglich gekennzeichnete Route enthielt einen Streckenabschnitt, der zwischen Rathenow und Nauen durchaus hätte reizvoll sein können. Doch genau diese Strecke durch den Wald ist mit Sicherheit nicht rennradtauglich im engeren Sinne des Wortes. Schon mehrfach habe ich mir gewünscht, die Einsteller von Tracks auf gpsies kontaktieren zu können, um sie nach Details ihrer Track zu befragen. Auch die Route von Nauen aus nach Berlin, sollte sich als teilweiser Reinfall herausstellen. Doch dazu später mehr. Am Ende hatte ich einen Track, den ich der besseren Handhabbarkeit noch mal in zwei Teilabschnitte unterteilte.

Blieb noch das Wetter und die richtige Kleidung für selbiges. Laut der Prognose am frühen Morgen sollte es bis Nauen immer wieder leichte Schauer geben, jeweils an den Orten, wo wir sein würden. Einziger Trost: Die Schauer waren von kurzer Dauer und mit geringer Niederschlagsmenge vorausgesagt. So packte ich die dünne Regenjacke, die Rainlegs und ein paar dünne Überschuhe ein. Das musste reichen.

Am Morgen des 21. Juni 2014 verließ ich kurz nach 4 Uhr das Haus, um pünktlich am vereinbarten Treffpunkt in Anderten einzutreffen. Vier Radler waren schon da. Nach einer kurzen Begrüßung durch Bernd starteten wir zu neunt um 4:44 Uhr auf die erste Etappe nach Wolfsburg. Dieses Jahr waren wir eine wirklich schöne große Gruppe, so viele, wie wohl noch nie. Außer Bernd, J und mir, waren die anderen noch nie mitgefahren. Nur für K. und R. war die angepeilte Distanz neu, die Motivation aber auf jeden Fall gegeben.

Die Etappe nach Wolfsburg sollte keine Probleme darstellen. Es war die Strecke von 2009 und in der Gegenrichtung fuhr ich sie schon oft. Aber vielleicht lag genau darin das Problem. Auf den ersten 41 km fuhren wir mit einem Durchschnitt von 29.5 km/h ein für die Windwärts-Tour eher hohen Tempo. Da es mit der Zeit doch etwas anstrengender wurde, vorn zu fahren, lies ich mich nach dem Abzweig in Hillerse ablösen. Ein bisschen Quatschen, ein paar Fotos machen und der Abzweig in Röttgesbüttel war verpasst. W. fragte noch, ob wir noch richtig wären. Die Navigationsfunktion des Edge 800 hatte ich nicht angeschaltet, um dne Akku zu schonen, auf der Karte meinte ich aber, die hervorgehobene Route noch gut zu erkennen.

Einschub: Beim Garmin Edge 800 gibt es die Möglichkeit, einen vorbereiteten Track auf der Karte des Gerätes hervorzuheben. Ich empfinde die Hervorhebung persönlich als nicht sonderlich gut zu erkennen. Bislang habe ich keine Farbe gefunden, die auf den Karten, besonders bei den Lichtverhältnissen, wie sie in den frühen Morgenstunden herrschen, hervorsticht.

Das Waldstück zwischen Rotgesbüttel und Rolfsbüttel will immer gar nicht enden, wenn ich allein unterwegs bin. In der Gruppe nahm ich es gar nicht war. Als wir plötzlich in Ribbesbüttel landeten, kam mir nichts mehr bekannt vor. Am Ende fuhren wir nicht über Gravenhorst und Wasbüttel nach Calberlah sondern über Isenbüttel. Der Umweg hielt sich in Grenzen. Bis und durch Wolfsburg lief nun alles ohne Probleme. Die Durchfahrt durch Wolfsburg ist nicht angenehm und führte uns auch nicht an einem Bäcker mit Stehcafe vorbei. Halb acht waren wir fast schon wieder aus Wolfsburg heraus und fielen kurz vor acht beim Landbäcker Meyer in Danndorf ein. Ein kurzes Frühstück mit Kaffee tat nach den ersten 90km richtig gut. Eine halbe Stunde später ging es weiter über Velpke in Richtung Oebisfelde.

In Oebisfelde wollte ich auf Nummer Sicher gehen, und mich durch die Stadt navigieren lassen. Dummerweise schaltete ich die Navifunktion zu spät ein und so berechnete der Edge noch die Route, als wir hätten abbiegen müssen. Wir folgten den Richtungshinweisen zur B188, welche uns aber auf die Umgehungstrecke gelotst hätten. Der Irrtum war schnell bemerkt und bald waren wir wieder auf der richtigen Route in Richtung Gardelegen. Als Radfahrer kann man sich ein gutes Stück B188 sparen, wenn man nach Mieste abbiegt und in Wernitz durch den Fußgängertunnel unter der Bahnstrecke fährt. Zudem spart man sich die Brücke über die Bahnstrecke. Nach einem weiteren Stück entlang der B188, hatten wir nach nun insgesamt 128km Gardelegen erreicht und damit knapp die Hälfte unserer heutigen Tour geschafft. Zeit für ein Gruppenfoto! Wie bestellt zeigte sich dafür sogar die Sonne. Nach einer kurzen Pause ging es weiter über Kloster Neuendorf wieder auf die B188. Glücklicherweise kann man ab Uchtspringe der alten verkehrsarmen Trasse der 188 folgen und ab Vinzelberg auf ruhige Nebenstrassen abbiegen. Jetzt zog im Südwesten eine Wetterfront auf, die gar nichts Gutes verhieß. Allerdings hatten wir Glück und blieben verschont.

Kurz bevor wir Tangermünde erreichten, zeigte sich sogar noch mal die Sonne.
Tangermünde erreichten wir schließlich 11:45Uhr mit reichlich 170km in den Beinen. Zeit für eine Mittagspause. Der Supermarkt war wohlsortiert, ein Plätzchen zum Sitzen fanden wir jedoch nicht. So füllten wir uns erst einmal nur unsere Flaschen auf und kauften etwas zum Mittag, um noch einmal Rast an einem schöneren Platz zu machen. Vielleicht fänden wir etwas an der Elbe. Allerdings fing es jetzt auch an zu tröpfeln. Etwas planlos steuerten wir bei dieser Suche den Ortsausgang in Richtung Stendal an. Auch diesmal war der Umweg nicht sonderlich groß, einen Rastplatz fanden wir aber erst auf der anderen Seite der Elbe. Der Radverkehr wird auf einem separaten Weg neben der B188 über die Brücke geführt, um auf der anderen Seite an der nächsten Abfahrt erst einmal abgeleitet zu werden. Das löst Verwunderung aus, zumal am Ende der Abfahrt der geneigte Radfahrer, der nach Rathenow möchte, mittels Kehrtwendung wieder auf die B188 geschickt wird. Nur wo lang? Würde der Radweg auf der anderen Seite der 188 weitergehen? Immerhin war hier eine kleine überdachte Rastanlage für Radfahrer gebaut worden, in der wir zu neunt gut Platz fanden. Mittag. J. spendierte uns frische Erdbeeren und wir ließen es uns gut gehen und den nun einsetzenden leichten Regen auf das Dach tropfen. Nach einer guten Viertelstunde wurden wir wieder unruhig und wollten weiter. In gewisser Vorahnung, schaute ich nach der Akkustandsanzeige meines Garmin. Der war schätzungsweise noch zu einem fünftel gefüllt. Das würde nicht reichen, um mich auf den verbleibenden Kilometern, auch nur auf Teilstrecken, und in Berlin navigieren zu lassen. Einen Zusatzakku hatte ich mit. Schloss ich diesen an, konnte ich den Garmin jedoch nicht mehr in der Halterung befestigen, da dann das Ladekabel mit dem Lenker kollidierte. Das gab mir Stoff zum Grübeln auf den nächsten Kilometern.
Erst einmal folgten wir wieder der B188. Diesmal direkt auf der Straße. Der Verkehr war zwar nicht übermäßig stark, angenehm war es trotzdem nicht. In einem Waldstück (vor oder nach?) Wust lief ein Storch direkt vor uns über die Straße. Die Kamera war leider just in diesem Moment regensicher im Rucksack verstaut. Rechts und links der Straße waren auf Teilstücken bereits ausgehobene Schneisen zu erkennen, die vermuten lassen, daß dort in Zukunft Radwege entstehen sollen. Nach einigen Kilometern konnten wir auf den augenscheinlich neu errichteten Radweg ausweichen, wurden diesem folgend in Wust aber erst einmal in das Dorf geleitet. Prompt verfransten wir uns erneut. Auch diesmal bemerkten wir recht schnell unseren Irrtum und verloren nicht allzu viel Zeit. Wieder auf der B188 folgten wir dieser weitere elf Kilometer, bevor wir auf eine kleinere Straße in Richtung Rathenow abbiegen konnten.
Inzwischen war mir die rettende Idee gekommen: Ich könnte meinen Garmin quasi auf den Kopf stehend in die Halterung setzen. Dann würde ich das Ladekabel auch anschließen können. Das klappte wunderbar, der Akku wurde sogar vom Zusatzakku während des Betriebes geladen und zählte auch die Kilometer nicht rückwärts. ;-) Das Ablesen war zwar jetzt nicht so einfach, aber doch möglich.
In Rathenow hätte die ausgearbeitete Route genau durch die Fußgängerzone geführt. Nun glich diese einer einzigen Baustelle und wir nahmen die Umfahrung über eine Kopfsteinpflasterstraße in schlechtem Zustand. Das führte dazu, daß wir ziemlich auseinandergerissen wurden und mein Ruf, wir würden zu weit südlich abdriften, nicht mehr vorn ankam. Bernd hatte sich irgendwie an den Wegweisern zur B188 orientiert, an deren Auffahrt dann das Verbotsschild für Radfahrer stand. Auf der kleinen Karte des Garmin konnte ich die Route nicht mehr erkennen, ein - zum Glück kurzer aber doch ordentlicher - Schauer brach los und wir suchten erst einmal Schutz unter Bäumen. Eine nette Frau, die mit ihrem Rad des Weges kam, erklärte uns, welches der kürzeste Weg zu der ursprünglichen Route nach Gräningen zurück wäre. Der war nicht so schwer zu finden und bald ließen wir Rathenow hinter uns.

Der folgende Abschnitt über Bamme, Gräningen und Nennhausen war angenehm zu fahren. Zufällig entdeckten wir in Liepe die alte Brennerei. Wie für uns gemacht, fand in dieser ab 15 Uhr das Storchenfest statt. Daß wir fünf Minuten früher da waren, lasse ich mal als zu vernachlässigende Unschärfe durchgehen. Der hausgemachte Kuchen und Kaffee war so lecker und willkommen, daß einige von uns es nicht nur bei einem Stück beließen.
Nach einer halben Stunde, in der draußen ein ordentlicher Schauer niederging, traten wir die letzte Etappe an. Zwischenzeitlich war die Sonne herausgekommen, in Richtung Berlin hing jedoch eine dunkle Regenfront. Die Abkürzung zwischen Retzow und der B5 brachte uns rund einen Kilometer berüchtigten Betonplattenweg ein. Bis Ribbeck war es nicht weit und von dort führte uns der - Anfangs sehr schmale (!) Havelradweg bis nach Nauen. Die Rennradtauglichkeit dieses Stückes hatte ich auf Naviki gefunden.
Aufgrund der nun fortgeschrittenen Zeit und unserer unfreiwilligen Umwege, war es mir lieber, einen der vorbereiteten Routen von Nauen nach Berlin zu fahren. Hier verließ ich mich auf einen als rennradtauglich geführten Track bei gpsies und das stellte sich als größter Reinfall des Tages heraus. Der Weg von Nauen nach Bredow ist keinesfalls rennradtauglich. Es ist ein 2.5km langer teilweise sandiger Feldweg. Einen entsprechenden Kommentar habe ich dem erwähnten Track auf gpsies hinzugefügt, mehr kann ich leider nicht tun (siehe oben).
Den Blick konzentriert auf den Weg und auf den Tacho gerichtet, in der Hoffnung, daß das Stück bald enden möge, habe ich natürlich vergessen, ein Foto von dem Weg zu schießen. Schade.
Letzten Endes haben wir auch dieses Teilstück und ein paar Kopfsteinpflasterpassagen in den nachfolgenden Orten überstanden.

Die Einfahrt nach Falkensee über die Nauener Straße war einfach nur unangenehm. Glücklicherweise hatte ich im rennrad-news-Forum den Tipp bekommen, ab Falkensee auf die Seegefelder Straße auszuweichen. Die letzten Kilometer wurden doch noch etwas hektisch. Im Gegensatz zu den letzten Jahren, fuhren wir nicht alle gemeinsam mit einem Wochenendticket nach Hannover zurück, sondern neben einigen, die in Berlin übernachten wollten, wollten ein paar auch mit einem IC zurückfahren für den sie schon Fahrkarten gekauft hatten. Dafür wurde die Zeit langsam knapp.
Wegen irgendeiner Meisterschaft, die gerade in Südamerika stattfand, war kein Durchkommen zum Brandenburger Tor. Unser Zielfoto wollten wir deshalb ursprünglich vor dem Reichstag aufnehmen. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit, schossen wir das Foto 10 Minuten vor Abfahrt des ICs vor dem Hauptbahnhof und ein weiteres


mit den Verbliebenen auf der Wiese vor dem Reichstag.


Kaum hatten wir das getan, ging ein gewaltiger Schauer herunter, vor dem R. und ich mich unter das große Vordach des Paul-Löbe-Hauses retten konnten.

Als der Schauer nachgelassen hatte, fuhren wir zu zweit zurück zum Hauptbahnhof, kauften uns in Ruhe ein Wochenendticket und etwas zu essen, setzten uns dann für eine halbe Stunde bei einem Milchkaffee in die DB-Lounge, bevor wir die Heimreise per Regionalexpress und -bahn antraten. Bis auf wenige Minuten waren die Züge pünktlich, so daß wir um Mitternacht in Hannover am Hauptbahnof eintrafen.
Das Bild der Hauptbahnhöfe beider Städte glich sich: Warum gewisse Sportarten zu fragwürdigen Benehmen verleiten, wird mir wohl für immer ein Rätsel bleiben. Und erzähl mir jetzt bitte keiner etwas von Doping. Eine ARD, die die Tour de France nicht mehr überträgt, dürfte dann erst recht keine Fußball-WM mehr übertragen.

Die Strecke von Hannover-Anderten nach Berlin-Mitte mit 296,6km hatten wir in 13h37min (also mit einem Bruttoschnitt von reichlich 21 km/h) bewältigt. Der Wind unterstützte ordentlich und die Pausen abgerechnet kamen wir auf einen Nettoschnitt von reichlich 27 km/h. Die Anfahrt zum Treffpunkt und Heimfahrt vom Bahnhof mitgerechnet, bin ich an diesem Tag 310km gefahren.